Das Haus steht in Flammen. Dicker Rauch liegt in der Luft, ein knacken und ächzen klingt aus dem Dachstuhl. Die Hitze wird immer drückender, unerträglicher, Trümmer fallen von der Decke, während das Knistern der Flammen immer lauter wird, immer näher kommt. Um den Küchentisch geht ein Murmeln: Die Feuerwehr sollte jeden Moment eintreffen, oder? Oder?
In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, wie das, was wir lange nur aus den nachrichten kannten, auch unsere Lebensräume hier in Europa erreicht hat: Wir haben erlebt, wie ein Dürresommer auf den nächsten folgt, wie Waldbrände die wenigen Wälder unserer Breiten zerstören, Überschwemmungen ungeahnte Zerstörungen anrichten, wie Tonnen toter Fische in den Flüssen treiben – die Liste ist lang. Noch immer betreffen uns all diese Katastrophen viel weniger existentiell als die Menschen in Pakistan, oder in Brasilien – aber sie sind da, sie sind spürbar, und sie lassen sich immer weniger verdrängen. Gleichzeitig erfahren wir, wie wieder Krieg herrscht in Europa, wie dieser Krieg größere Auswirkungen auf die Preise eines Brots in Kairo oder Accra hat, als auf uns, die ihm viel näher sind, und wie über all dem Gerede von Waffenlieferungen und Gaspreisen das Thema Klimakrise plötzlich in Vergessenheit gerät.
Was bedrängt: die größte Sicherheit, die wir unseren Kindern derzeit weitergeben können, ist, dass der kommende Sommer noch trockener, der danach noch staubiger, der darauf noch stürmischer werden wird. Dass es mehr Brände, weniger Wälder, mehr Fluten, Überschwemmungen, Flüchtlinge geben wird. Was das für unser eigenes Leben, für unser Umfeld bedeutet, können (oder wollen?) wir noch gar nicht erfassen.
Hier ist ein Meme, das zu unserer heutigen Zeit passt. Ein Hund sitzt in einem brennenden Zimmer und trägt einen flotten kleinen Hut. Er sagt: ‘Alles ist gut’, während das Haus um ihn herum brennt. (…)Der Planet steht vor einer Klimakatastrophe. Und mit ‘vor’ meinen wir ‘in freiem Fall, kurz vor dem Aufschlag’. Eine wachsende Zahl von Menschen gerät in Panik, organisiert sich, kämpft. Aber die meisten von uns sind wie der Hund – sie spüren die Hitze, aber rösten damit Marshmallows. Alles ist gut.
Bei all den aufeinanderfolgenden Katastrophen sehen wir eines nicht: ein tiefes Einlenken, eine breite gesellschaftliche Debatte über tatsächlich nachhaltiges Umlenken in unserer ökologischen, ökonomischen und vor allem kulturellen Ausrichtung. Stattdessen sitzen wir – zwischen Rauchschwaden – noch immer an der langen Tafel und stopfen uns voll, während unser Planet von den offenen Wunden blutet, die wir geschlagen haben mit all dem Bohren, Graben, Fällen, Deponieren, Jagen, Sammeln, Töten.
Es ist fast ein wenig ironisch: Endlich brennt er, der riesige, ewig wachsende, sich ewig ausbreitende Supermarkt aus Kapitalismus und Kolonialismus – aber nicht, weil ein paar verzweifelte Aktivist*innen es geschafft hätten, Feuer zu legen. Nein, es brennt, weil die Feuer, die Öfen die es braucht, ihn am Leben zu halten, ihn mit Energie und Ressourcen zu versorgen, außer Kontrolle geraten. Die Hitze, der Rauch erreichen nun auch die oberen Stockwerke – uns.
In anderen Teilen der Welt spüren Menschen die Hitze schon seit langem – leiden und kämpfen um ihr Überleben, während (und damit!) wir unsere Lebens- und Wirtschaftsweise wie gewohnt weiterführen können. Das zu bedenken ist wichtig, denn es gibt uns ein wenig Demut – aber es zeigt uns auch, wo wir suchen können nach all dem, was wir in den kommenden Jahren (ver)lernen müssen.
“What you people call collapse means living in the same conditions as the people who grow your coffee.” –Vinay Gupta
Was werden unsere nächsten Schritte sein, durch den Rauch, den Schmutz, die Dunkelheit? Und welche Rolle spielen Theater, Kunst und Kultur auf diesem Weg durch eine sich langsam entfaltende Katastrophe?
Wenn, wie Audre Lorde sagt, die “Werkzeuge des Meisters niemals das Haus des Meisters niederreißen” werden, dann können wir dieses Feuer auch nicht mit den Werkzeugen löschen, auf die sich unsere Gesellschaften in den letzten Jahrhunderten verlassen haben – mehr Technologie, mehr Entwicklung, mehr Wachstum. Und ebenso wenig kann das Haus aus dem gleichen Material, in der gleichen Weise wieder erbaut werden. Vielleicht ist das, was wir konstruieren sollten, weniger wie ein Wolkenkratzer und mehr wie eine Jurte, oder ein Lehmhaus. Wie ein Garten.
Eines ist klar: Was wir brauchen in dieser Krise, sind neue Werkzeuge, neues Wissen. Oder, vielleicht, müssen wir uns auch nur erinnern, müssen unseren Blick weiten für neue und alte Perspektiven abseits der kulturellen Zentren und Metropolen.
Mit der Winterwerft nehmen wir uns die Zeit, uns mit all jenen Fragen auseinanderzusetzen, die sich uns mit immer größerer Dringlichkeit zeigen:
Was kann und soll Theater, was können die darstellenden Künste in einer solchen Zeit, einer Zeit des Feuers, einer Zeit der Dürre, der gewaltsamen Konflikte um Ressourcen, leisten? Wie kann ein Theater im Anthropozän aussehen, welche Fragen müssen formuliert werden, welche Sprachen gefunden, welche Gangarten erprobt, welche Räume erschlossen, welche Netzwerke wollen gewoben werden? Wie kann die Klimakatastrophe, mit all ihren Fluten, Stürmen und Dürren, ihren Vertriebenen, Geflüchteten, Ausgestorbenen, auf die Bühne gebracht werden? Welche Lieder und Tänze, Sprachen und Gesänge brauchen wir, die aus den Herzen, aus den Theatern, aus den Fenstern auf die Straßen und Plätze, in die Plenarsäle, geschleudert, gesungen, getragen werden?
Wie kann all denen Stimme und Agenda zurückgegeben werden, Gehör geschenkt werden, denen eben dies im Zuge des Aufstiegs der westlichen Idee von Zivilisation, Modernismus und Fortschritt aberkannt wurde? Den Wäldern, Bergen, Flüssen, Insekten, Bakterien, Tieren, Pflanzen und Ökosystemen. Den unzähligen Stämmen, Sprachen und Kulturen, die im ungebremsten Wachstumswahn konvertiert, kolonialisiert, ausgelöscht wurden?
Wir glauben, dass wir, angesichts des Kommenden, Theater, Kunst und Kultur mehr brauchen als je zuvor. Wir glauben, dass Kunst und Theater “wärmende Feuer für die Frierenden, Rettungsseile für die Verlorenen” (Lorde) sein können. Dafür und deshalb kommen wir zu Beginn des Jahres zusammen. Seid ihr mit uns?