A project by

Bodenlos

Losing Ground

There is no safety, and there is no end.

The word must be heard in silence.

There must be darkness to see the starts.

The dance is always danced above the hollow place, above the terrible abyss.”

-Ursula Le Guin

Letztes Jahr um diese Zeit schien die Welt um uns herum in Flammen zu stehen, und so trafen wir uns auf der Winterwerft um das Bild des “House on Fire”. Dieses Jahr scheint die Situation noch schlimmer zu sein – und doch: immer wieder finden wir die kleinen Momente der Hoffnung.

 

Den Boden unter den Füßen verlieren. Das ist ein Satz, der in den letzten Jahren zu einer neuen Realität, zu einer kollektiven Erfahrung geworden ist. Wie kann man sich also dem Gefühl des Fallens hingeben? Aufhören, sich mit aller Kraft festzuhalten, und die frei gewordene Kapazität nutzen, um zu sehen und zu fühlen, wo wir stehen?

 

Immer mehr wird uns bewusst, wie Katastrophen, die aus biblischen Geschichten zu stammen scheinen, plötzlich für immer größere Teile der Weltbevölkerung in Echtzeit ablaufen. Sei es nun in Gestalt von Überflutungen, Stürmen, Waldbränden, und Dürre – oder sei es einfach, dass für immer sicher geglaubtes plötzlich ins Wanken gerät: dass die Pflanze, die die Familie seit Jahrhunderten ernährt hat, plötzlich nicht mehr wächst. Dass der Fluss, über den ganze Regionen versorgt wurden, plötzlich nicht mehr befahrbar ist, und die Fische treiben tot an der Oberfläche. Raketeneinschläge, an dem Ort, der Heimat war.

 

Ein Erbe der Moderne ist es, dass „Boden“ dass „Erde“, dass „Land“ für uns heute eine abstrakte Kategorie ist, etwas dass man aus der Landkartenperspektive betrachtet, etwas, dass deins ist oder meins, dass aufgeteilt, parzelliert, und wenn notwendig verteidigt werden muss. Etwas, dass auf beliebige Weise formbar und gestaltbar ist, in das Gräben und Gruben gegraben und aus dessen Inneren extrahiert wird, was die Maschinen der Moderne am laufen hält.

 

Gleichzeitig ist uns jede echte Verbindung zu dem Boden, der uns trägt, abhanden gekommen. Woher unsere Lebensmittel, unsere Lebensgrundlagen kommen, wie sehr wir eingebunden sind ein ein Netz aus menschlichen und vor allem nicht-menschlichen Gemeinschaften, deren Fortbestehen ebenso wie unseres abhängt von sauberem Wasser, Luft, fruchtbarem Boden – und die aber gleichzeitig die Quelle all dieser Lebensgrundlagen sind – all das verstehen wir heute nicht mehr auf eine Weise, die tief genug geht. Auf die Art, wie sie jene Kulturen, die wir „indigen“ nennen, verstanden und verstehen.

 

Wir sind entwurzelt, entrückt, bodenlos.

 

 

 

 

“Wir müssen ein Gefühl dafür haben, wer wir als Gemeinschaft sind, was immer das für uns bedeutet, und wer unsere Vorfahren sind. Sonst sind wir nur Individualisten. Wir brauchen das Gefühl, über die Zeit hinweg Teil von etwas zu sein. Und wir brauchen auch das Gefühl, sagen zu können: “Das ist meine Heimat”. Es muss nicht der Ort sein, von dem man kommt, aber es ist der Ort, an dem man sich befindet und von dem man sagt: “Hier habe ich meine Füße hingesetzt.” Wenn man das aus einer nicht-menschlichen Perspektive betrachtet, ergibt es viel mehr Sinn. Denn man sagt nicht nur: “Wo ist meine menschliche Kultur? Wer ist mein Volk?’ und streitet über all diese endlosen Identitätsfragen, über die sich alle den ganzen Tag den Kopf zerbrechen. Man sagt: ‘Ich muss nicht einmal unbedingt von dem Ort stammen, an dem ich mich befinde, aber ich kann der biotischen Gemeinschaft des Ortes, an dem ich mich befinde, Aufmerksamkeit schenken’.”

-Paul Kingsnorth

 

Wir wollen ihn also wiederfinden: den Boden der Tatsachen.

 

Mit der Winterwerft gehen wir einmal mehr auf die Suche. Und wir tun das auf die Art und Weise, die uns nah ist, und die, glauben wir, entscheidend sein wird, wollen wir andere Geschichten und andere Realitäten schaffen: Mit Kultur, Theater, Tanz, Musik, Poesie, Malerei, Bildhauerei und Augenwischerei, und all dem was es ermöglicht, Begegnung zu schaffen und Menschen zusammenzubringen.

 

Stolpernd, zärtlich, wild und wütend wollen wir versuchen dem und denen Stimme und Gestalt zu verleihen, die sonst oft ungehört bleiben, eben weil sie nicht mit menschlicher Stimme zu sprechen vermögen. Landschaften, Flüsse, Bienenschwärme, Ameisenhügel, Geister, Ahnen, Trolle und Waldgeister.

 

Gemeinsam wollen wir in den Abgrund, in das Fass ohne Boden sehen, der Sache auf den Grund gehen. Das Ohr fest auf den Bauch der Erde legen, lauschen. Erforschen, wie das geht: Mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Und dann wollen wir in diesen Boden einen Samen pflanzen.

 

Es braucht Zeit, bis ein Samen zu sprießen beginnt. Das ist die große Herausforderung der Künste: Man will die Welt verändern, aber die Auswirkungen des eigenen Handelns lassen sich nicht messen. Man muss an sie glauben. Heute glauben wir mehr denn je an die Idee, Menschen um einen langsamen, fürsorglichen Prozess zu versammeln. Um das Feuer. Auf und vor der Bühne. In einem Proberaum.

 

In einer sich beschleunigenden Welt war es noch nie ein so revolutionärer Akt, einen Baum zu pflanzen.

 

Als Geschichtenerzähler, als Kulturschaffende sehen wir hier unsere Rolle, unsere Aufgabe und Verantwortung. Schließt euch an, setzt euch in den Kreis – wir brauchen jede einzelne.

  

Winterwerft 2024

26.1.-11.2.